Third Culture
Das Konzept der "dritten Kultur" wurde vom Soziologenehepaar Useem
in den 1950er Jahren entwickelt und impliziert eine Absage an bikulturelle
und Multikulturalismus-Konzepte. Danach führt ein Leben zwischen Heimatkultur
(erste Kultur) und Gastkultur (zweite Kultur) zu einem besonderen
Lebensstil in der Exilantengemeinschaft (
Diaspora).
Es ist eine Zwischenkultur oder eine Kultur zwischen den
Kulturen, eben eine Drittkultur. Kinder, die in dieser Zwischenkultur
aufgewachsen waren, nannten die Useems Drittkulturkinder oder
Third Culture Kids (vgl.: Griese
2004; Internetquelle;
Pollock
et al. 2003).
Nach Polock et al. (2003)
ist ein Third Culture Kid "eine Person, die einen bedeutenden Teil ihrer
Entwicklungsjahre außerhalb der Kultur ihrer Eltern verbracht hat. Ein
Third Culture Kid (TCK) baut Beziehungen zu allen Kulturen auf, nimmt aber
keine davon völlig für sich in Besitz (diffuse kulturelle
Identität, Griese
2004). Zwar werden Elemente aus jeder Kultur in die Lebenserfahrung des
TCKs eingegliedert (
Akkulturation),
aber sein Zugehörigkeitsgefühl bezieht sich auf andere Menschen
mit ähnlichem Hintergrund" (Pollock
et al. 2003: 31). TCKs sind quasi die Prototypen des 21. Jahrhunderts.
Sie jonglieren mit verschiedenen Kulturen und präsentieren neue Muster
der globalen kulturellen Vermischung. Ihre Existenz spiegelt die Ambivalenz
der postmodernen Globalisierung wider: Sie haben ungeahnte Vorteile (z. B.
Mehrsprachigkeit) und Chancen (z. B. flexible Identität), aber unterliegen
auch mannigfachen Problemen, die sie irgendwie lösen müssen
(vgl. Griese
2004; Internetquelle).
Als Idealtypen nennen Polock et al. den Ausländer ("sieht
anders aus und denkt anders"), das Adoptivkind ("sieht
anders aus und denkt gleich"), den heimlichen Einwanderer
("sieht gleich aus und denkt anders") und den Spiegel
("sieht gleich aus und denkt gleich"). "Das Besondere bei den
TCKs ist, dass sie während ihrer Kindheit ständig ihre Kategorie
wechseln, je nachdem, wo sie sich gerade befinden". Mit jedem Ortswechsel
erfolgt jedoch auch ein Kulturwechsel, der sich als "Übergangserfahrung"
in fünf "vorhersagbaren Stadien" vollzieht: "Eingebundenheit,
Abschied, Übergang, Eintritt, Wiedereinbindung" (Polock 2003: 68
f.; 74 f. cit. nach Giese
2004; Internetquelle;
vgl. auch Giese
2002).
Auf der Ebene der interkulturellen Theoriebildung im Rahmen heutiger Nationalstaaten
hat Casmir 1992 seinen Drittkulturansatz entwickelt. Dabei baut er auf die
Tatsache, dass erfolgreiche Staatenbildung schon immer mit der Fähigkeit
zur Integration unterschiedlichster kultureller Identitäten und Traditionen
einherging. Er charakterisiert den Drittkulturansatz als "the natural
outgrowth of non-threatening co-operation" und fordert in diesem Zusammenhang
die Abwendung von westlichen Dominanzmodellen und eine Hinwendung zu transkultureller,
dialogorientierter Kommunikation" (Casmir
1992, 1999).
Interkulturalität;
Transkulturalität
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Toleranz
Toleranz besteht darin, kulturelle Andersheit nicht zu bewerten (
Othering),
sondern als Andersheit zu akzeptieren und nach Möglichkeit zu verstehen
suchen. Toleranz geht nicht so weit wie Akzeptanz. Bei letzterer wird ein
Zustand als von den eigenen Wünschen zwar abweichend, aber als dem Gemeinnutz
dienlich anerkannt. Ein toleranter Mensch ist sich im sokratischen Sinne über
die Grenzen des eigenen Wissens bewusst, insbesondere lässt er eine intuitive
Gefühlsreaktion, die oft auf Grund von allgegenwärtigen Vorurteilen
oder Stereotypien ins Bewusstsein gelangt, nicht als Grundlage für eine
abschließende Bewertung gelten. (...)
Toleranz im positiven Sinn (deshalb auch "Aktive Toleranz" genannt)
schließt die Fähigkeit ein, zu erkennen, wann eine Urteilsfassung
und das Zum-Ausdruck-Bringen derselben geboten ist. Dieses schließt
die Fähigkeit zur Non-Akzeptanz und ihrer angemessenen Äußerung
ein; damit unterscheidet sie sich wesentlich von der Ignoranz. (weitgehend
nach: Wikipedia
2004: Toleranz; Internetquelle).
Intoleranz
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Tradition
Tradition bezieht sich auf die generationsübergreifende Weitergabe kultureller
Wissensbestände, Wertvorstellungen, Normen und Verhaltensweisen. Sie
beinhaltet sowohl den Prozess des Tradierens (tradere) als auch den Inhalt
(traditum):"kulturelle Objektivationen, zu denen auch die Vergegenständlichung
sozialer Gebilde, des sozialen Handelns, der kollektiven Wertvorstellungen,
Verhaltensmuster, der soziokulturellen Gewohnheiten, der Sitten, Bräuche,
Konventionen etc. gehört" (Nahodil
1988: 59).Über die
Enkulturation
wird Tradition gelernt und internalisiert. Der Gebrauch des Wortes ist allerdings
nicht einheitlich und in manchen Kulturen ganz unbekannt So steht Tradition
im Judentum ausschließlich im Zusammenhang von Tradierung, Lehre, Erinnerung.Kern
des jüdischen Traditionsverständnisses ist das Gesetz, die Tora.
Im Kern des islamischen Traditionsverständnisses steht der Begriff der
Sunna (arabisch für "Tradition, Überlieferung") (Wikipedia
2006; Internetquelle).
Tradition stellt notwendige Kulturinhalte zur Anpassung an die natürliche
und soziale Umwelt bereit. Sie ist akkumulativ und gleichzeitig selektiv,
das heißt, sie fügt dem bisherigen Traditionsbestand neue Erfahrungen
zu. Gleichzeitig beeinflussen machtvolle Akteure von innen und außen,
was in das kollektive
kulturelle
Gedächtnis aufgenommen wird und was nicht. Das galt historisch
in schriftführenden (Schriftgelehrte) wie in schriftlosen Gesellschaften
(Erzähler, Weise). In den 1980er Jahren zeigten Sozialhistoriker, dass
auch ganze nationale Traditionen erfunden werden können (
Nation;
Hobsbawm/Ranger
1983).
In der Entwicklungszusammenarbeit hängt der Begriff der Tradition vor
allem mit dem auch in UN-Konventionen dokumentierten Schutz des
immateriellen
Kulturerbes (intangible heritage)
zusammen, also allen Formen traditioneller Kultur, die von einer Gemeinschaft
hervorgebracht werden und auf zumeist mündlicher Überlieferung beruhen.
Für die Weitergabe kulturellen Materials in nicht-schriftführenden
Kulturen hat sich der Begriff der mündlichen Überlieferung ("oral
tradition") eingebürgert.
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Training, interkulturelles
Interkulturelle Trainings haben die Erlangung oder Erweiterung
interkultureller
Kompetenz zum Ziel. "Interkulturelles Training kann während
einer Arbeitsphase im Ausland wie auch im Inland erfolgen. Es kann kulturspezifisch
sein oder kulturübergreifend, eher kognitiv orientiert, affektiverfahrungsbezogen
oder verhaltensorientiert sein. Welche der Trainingstypen im Einzelfall gewählt
werden, hängt nicht zuletzt von der Zielgruppe und den Trainingsbedingungen
ab. So werden beispielsweise Rollenspiele mit fiktiven Handlungskontexten
von Führungskräften erfahrungsgemäß weniger akzeptiert
als von Jugendlichen, während letztere nicht unbedingt für kulturtheoretische
Fragestellungen zu begeistern sind" (Interkulturelle
Kompetenz Online 2004; Internetquelle).
Der Anfang interkultureller Trainings geht auf den Anthropologen Edward T.
Hall zurück, der in den 1950er Jahren Kulturtrainings für Angestellte
des Foreign Service Institutes in den USA entwickelte. Heute werden in über
70 % der großen amerikanischen Firmen interkulturelle Trainings durchgeführt
(Breidenbach/Nyíri
2004). Es hat sich eine ganze Industrie professioneller Interkulturexperten
herausgebildet (vgl. dazu Dahlen
1997 und Hüsken
2003, 2004).
Sowohl ihre Verkaufsargumente (interkulturelle Trainings von ins Ausland entsandten
Experten erspare hohe Transaktionskosten und Versagensquoten) als auch ihre
Konzepte werden von Kritikern zunehmend in Frage gestellt.
In der Auslandsvorbereitung von Entwicklungsfachleuten findet sich neben der
landeskundlichen Vorbereitung meist auch ein kulturspezifisch orientiertes
interkulturelles Trainingsmodul. Dabei erweisen sich in der Regel Trainings
durch Rückkehrer ("Returnees") ebenso wie Tandemlösungen
mit einheimischem Co-Trainer, als besonders hilfreich. Die eingesetzten Methoden
sind vielfältig und umfassen neben dem bekannten
Culture
Assimilator und dem
Contrast
Culture-Ansatz auch komplexe Simulationen wie das
Fünf-Kulturen-Spiel.
Auch das gesamte Set sonstiger teilnehmerorientierter Trainingsmethoden wie
Rollenspiele, Phantasiereisen, Interaktionsübungen, Fallarbeit, Wahrnehmungs-
und Selbsteinschätzungsübungen kommt zum Einsatz. Seit einigen Jahren
finden auch computergestützte interkulturelle Lernprogramme bzw. internetbasierte
Angebote (E-learning) wie der "Cross-Cultural Assessor" oder das
Lernprogramm "Gulliver" (vgl. Kölling
2000) Eingang in interkulturelle Trainings.

Methodenüberblick zu interkulturellen Trainings (aus
Leenen
2001)
Interkulturelle Trainings beziehen sich implizit oder explizit auf einen Mix
bekannter theoretischer und methodischer Ansätze. Häufig spielt dabei
das kulturdifferenzialistische Modell des holländischen Managementgurus
Geert Hofstede eine tragende Rolle (
Kulturdimensionen).
Die Kritik an dessen Kulturdimensionen- Modell lässt sich dabei auf fast
alle mit standardisierten Kategorien arbeitenden Kulturerfassungs- und interkulturellen
Trainingsansätze übertragen (für einen Überblick über
solche Ansätze und Alternativen vgl.
Köppel
2002).
In den letzten Jahren wird die Effektivität auslandsvorbereitenden interkulturellen
Trainings für den Erwerb von
interkultureller
Kompetenz zunehmend in Frage gestellt. Alternativen sind das begleitende
interkulturelle Coaching vor Ort oder, weiterführend, die interkulturelle
Mediation durch einen neutralen, unparteiischen Vermittler (vgl.
Clement/Clement
1999;
Barmeyer
2000;
Zülch
2004: 61 f.; mit kritischen Untertönen
Bolten
1999b).
Lernen,
interkulturelles
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Transdifferenz / Transidentität
Die beiden Begriffe werden in der postmodernen Debatte im Zusammenhang mit der
Auflösung des klassischen Kultur- und Identitätsbegriffes verwendet:
"Im Zeitalter der Globalisierung einerseits und der Rückbesinnung
vieler Gruppen auf ihre kulturelle Eigenart andererseits sind Differenz und
interkulturelle Kommunikation wissenschaftliche Standardthemen geworden. Differenz
lässt sich synchron, aber auch diachron, mit Blick auf sich verändernde
oder ablösende Entwicklungsstufen von Individuen und Gruppen, verfolgen.
Mit dem neuen Begriff Transdifferenz bezeichnet man die aus der tatsächlichen
Vielfalt von Differenz und Interaktionsphänomenen resultierenden Vorgänge
der Überlagerung von Zugehörigkeiten, die grenzüberschreitende
Kombination von Loyalitäten und damit von Identitätsaspekten. Transdifferenz
wird als Sammelbegriff für Phänomene wie
Hybridität,
Transkulturalität
oder Transidentität gebraucht". (
Lackner
2005;
Internetquelle)
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Transkulturalität
Der Begriff wurde von Wolfgang Welsch in den 1990ern geprägt. Welsch reagiert
mit dem Begriff Transkulturalität auf den Anachronismus, dass der im 17.
Jahrhundert von Samuel von Pufendorf gefasste Kulturbegriff letztlich noch immer
Einheiten beschreibt, in denen biologische ("Rasse"), geographisch-territoriale
("Land"), ethnische ("Volk"), historische ("Tradition"),
linguistische ("Sprache"), moralische ("Werte und Normen")
und politische ("Staat") Grenzen zusammenfallen. Diese Separiertheit
und Homogenität sei heute vor dem Hintergrund von Migrationsbewegungen,
der Zunahme regionaler und globaler Vernetzung, dem Einfluss der Massenmedien
und der Binnendifferenzierung moderner Gesellschaften so nicht mehr vorhanden.
Es komme deshalb künftig darauf an, "die Kulturen jenseits des Gegensatzes
von Eigenkultur und Fremdkultur zu denken" (
Welsch
2002).
Welschs Konzept ist als normativer Entwurf einer vernetzten globalen Gesellschaft
sicher wünschenswert, aber er reflektiert kaum die Tatsache, dass trotz
weltweiter Mobilität und Migration die meisten Menschen nach wie vor nicht
als Global Player durch die Welt jetten, sondern einen starken Bezug
zum (Herkunfts-) Raum haben (
Heimat),
und die heterogene Binnenstruktur heutiger Gesellschaften Grenzen nicht aufhebt.
Nicht umsonst sind seine Beispiele erfolgreicher Transkulturalität zeitgenössische
Schriftsteller, also Vertreter einer transkulturellen Elite.
Kultur
(dort auch weitere Kritik);
Kugelmodell
von Kultur;
Kultur
als Fluxus;
Integration;
Third
Culture
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Translokale soziale Praxis
Kultur als translokale Praxis steht für die "gefilterte (Wieder-)einbettung"
(re-embedding) einer bereits deterritorialisierten Lokalität im Zeitalter
der Globalisierung; sie steht für die Gleichzeitigkeit und wechselseitige
Durchdringung dessen, was traditionellerweise als das Globale und das Lokale
bezeichnet wurde, und folgt damit Robertsons Idee der Globalisierung als
Glokalisierung.
(
Reuter 2004:
4).
Translokale Praxis identifiziert den Ort der Grenzüberschreitung und nicht
die Grenze als den eigentlichen Ort der Kultur (vgl.
Hetzel
2002: 10). Sie betont, so Reuter weiter, eine Kultur der Anschluss- und
Übergangsfähigkeit zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Theorien
der Translokalität haben normative Implikationen: Sie stellen die Dichotomie
von traditionell/unterentwickelt versus modern/ zivilisiert in Frage, decken
(mit der Dependenztheorie) die lange Geschichte der machthaltigen Beziehungen
zwischen Europa und der Peripherie heraus, betonen damit aber auch in
fast konservativkulturalistischer Manier die Beharrungskraft der inkorporierten
und damit niemals rationalistisch einholbaren machtdurchtränkten Wissensbestände
(
Reckwitz
2001).
Andererseits werden gerade in empirischen Studien immer wieder die kreativen
und subversiven Kompetenzen, die Unberechenbarkeit kultureller Akteure gegenüber
den machthaltigen westlich-kolonialen Wissensbeständen betont. Kultur als
translokale soziale Praxis bedeutet auch eine neue Form von Eingliederung, von
sozialer Integration. Zum Ausdruck kommt dies in so genannten
"Diaspora-Lebensstilen"
mit eigenen Orientierungs- und Handlungsmustern, einem neuen System von Zugehörigkeiten
und neuartigen Lebens- und Erwerbsverläufen. Diese werden durch globale
Vernetzungstechniken, Interaktionsnetze, aber auch neue Ökonomien (Mitfahrzentralen,
Call Center, Nahrungsmittelindustrie, Musik-Medienangebote für Migranten)
auf Dauer gestützt (
Reuter
2004: 10).
Für Zygmut Baumann (
1999)
gibt es nur noch zwei translokale Kulturen: globalisierte Reiche (die erste
Welt) und lokalisierte Arme (die zweite Welt). Die letzteren sind an den Raum
gebunden und müssen dort ihre Zeit totschlagen, die ersteren überwinden
den Raum, haben aber zu wenig Zeit! (vgl. auch
Transmigration/Transnationalisierung)
Third
Culture
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Transnationaler sozialer Raum
Das Konzept des transnationalen sozialen Raums entspringt nach Wille der Migrationsforschung.
"Es versucht, die durch Wanderung und Kulturtransfer bedingte aufgebrochene
Ortsgebundenheit soziokultureller Phänomene und ihrer Mischformen vor der
Denkfigur einer nationalstaatlichen Weltordnung theoretisch zu erfassen. Das
Konzept fügt also das zusammen, was als unvereinbar gilt: zugleich hier
und dort leben und handeln. Dabei wird davon ausgegangen, dass transnationale
soziale Räume etwas Neues, etwas Drittes generieren: Neue Lebens- und Handlungszusammenhänge
entstehen, die für ein Hierwie- dort bzw. Sowohl-als-auch stehen. In der
Migrationsforschung können somit soziale Räume beschrieben werden,
die sich zwischen getrennten und geordneten Welten herausbilden" (vgl.
Pries in Beck 1999, S. 55 ff., cit. in
Wille
2003; Transnationaler sozialer Raum;
Internetquelle).
Transnationalisierung
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Transnationalisierung
Breidenbach/Zukrigl schildern die Vor- und Nachteile der Transnationalisierung
sowie die Bildung transnationaler ethnischer Gemeinschaften eindrücklich:
"Früher pflegten die meisten Migranten nur symbolisch die Zugehörigkeit
zu ihrem Herkunftsland. Ob Hugenotten in Preußen oder Schwaben in den
USA, die Einwanderer gliederten sich in ihre neue Heimat ein, lernten deren
Sprache und Tischmanieren. Heute jedoch halten immer mehr Migranten wichtige
Beziehungen zu ihren Herkunftsorten aufrecht. Sie sind zweifach an ihrem alten
und neuen Wohnsitz verankert und pflegen aktiv verwandtschaftliche, wirtschaftliche,
religiöse oder politische Bande über nationale Grenzen hinweg. Diese
transnationale Orientierung ist durch moderne Kommunikations- und Transporttechnologien
ermöglicht und vereinfacht worden. Aber sie resultiert ebenso aus der wirtschaftlichen
und politischen Unsicherheit, die viele Migranten im Zuge der ökonomischen
Umstrukturierung und des weit verbreiteten Rassismus empfinden. Wie sollten
sie in einer solchen Situation auf ein Land allein setzen? Aus der Perspektive
von Migranten kann Transnationalisierung zu einer instabilen "Weder-hier-noch-da"-Lebenssituation
führen, in der sie den schnell wechselnden globalen Wirtschaftstrends schutzlos
ausgeliefert sind. (...)
Beziehungen zu mehreren Staaten zu unterhalten ermöglicht den Migranten
aber auch, zwischen den Vor- und Nachteilen einzelner nationaler Regime abzuwägen,
als vorteilhaft empfundene Regeln zu befolgen und andere zu umgehen. (...)
Transnationale Gemeinschaften finden sich unter Marokkanern und Senegalesen
in Italien, Polen, Türken und Kurden in Deutschland, Südasiaten in
Großbritannien und Auslandschinesen weltweit. Die Intensivierung der Beziehungen
zwischen Herkunftsland und Diaspora manifestiert sich auch im so genannten Langstrecken-Nationalismus
(Benedikt Anderson). So spielen in ursprünglich lokalen Konflikten in Sri
Lanka, im Kosovo, in Algerien, Mexiko oder auf den Philippinen immer mehr im
Ausland lebende Bürger dieser Staaten eine wichtige Rolle (...).
Von den Medien als Trend weitgehend noch unentdeckt, stellt Transmigration Nationalstaaten
vor neuartige Herausforderungen. Wie werden Loyalitäten jenseits von Steuerabgaben
gesichert oder sogar aktiviert? Für welche Seite entscheiden sich die mobilen
Bürger, wenn Konflikte dies erfordern? Gibt es Korrelationen zwischen der
Integrationsbereitschaft der Transmigranten und dem Grad ihrer Mobilität?
Für einige Migrantengruppen stellt wiederum die weltweit verstreute transnationale
ethnische Gemeinschaft einen dritten Orientierungspunkt dar. So sind die im
letzten Jahrzehnt aus der Volksrepublik China ausgewanderten Migranten durch
ein dichtes Netz aus Printmedien, Satelliten-TV, Websites, Auslandschinesen-
Organisationen und persönliche Beziehungen miteinander verbunden. Die in
diesem Geflecht zwischen Herkunftsland, Wohnort und transnationaler Gemeinschaft
entstehenden Lebens- und Identitätsformen sind noch weitgehend unerforscht."
(
Breidenbach/Zukrigl
2002b;
Internetquelle).
Transnationaler
sozialer Raum
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Tribalismus
Wörtlich: Stammesorientierung. Tribalismus wurde erstmals in den 40er und
50er Jahren des letzten Jahrhunderts im Rahmen der Arbeitsmigration und Ausbildung
urbaner Ethnizität in südafrikanischen Städten untersucht. Hatten
frühere Studien eine Detribalisierung in den Städten festgestellt,
so zeigte sich zunehmend, "dass Stadt und ländliche tribal homes
unterschiedliche soziale Felder darstellten, in denen Migranten jeweils verschiedene,
situationsangemessene Verhaltensweisen und Organisationsformen entwickelten"
(
Lentz o. J.:
6). Bisweilen konnte dies sogar zu einer Kreation neuer ethnischer Gruppierungen
in der Stadt führen.
Ethnisierungsprozesse
Heute wird der Ausdruck gelegentlich abwertend für Re-Ethnisierungsprozesse
in Staaten mit schwachem Staatsapparat gebraucht. Bei schwachem Staat suchen
die Bürger nach Alternativen des Zugangs zu staatlich verteilten Ressourcen,
der Konfliktschlichtung und zum Schutz vor Gewalt. Eine Möglichkeit ist
der Bezug auf
Wir-Gruppen.
Ethnizität
bzw. Tribalismus mit seinen naturalisierenden Ideologien von Abstammung,
Rasse
etc. kann solche Wir-Gruppen-bezogenen klientilistischen Netzwerke stabilisieren
(
Elwert 1999a:
384).
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