Zeit

Im Prinzip ist Zeit grenzenlos, kontinuierlich, unveränderlich, unteilbar. Trotzdem erfahren wir sie je nach Situation ganz unterschiedlich. Die Hopisprache in Nordamerika hat für Zeit noch nicht einmal ein Wort, und sie bietet keine grammatische Struktur für die Darstellung und Unterscheidung von Zeitebenen an. Vorindustrielle Gesellschaften waren ganz allgemein viel mehr auf die Beachtung natürlich vorgegebener Zyklen wie Tag und Nacht, Mondzyklus, jahreszeitliche Wechsel angewiesen. Zeiterfahrung hängt eng mit über lange Zeiträume entwickelten und angepassten, manchmal auch durch die Mächtigen für ihre Zwecke manipulierten, kulturellen Zeitstandards zusammen, die von den Mitgliedern einer Kulturgemeinschaft übernommen werden.
Industrialisierte Gesellschaften sind der Logik der Zeitakkumulation unterworfen. Zeit folgt hier einem ökonomischen Verwendungsimperativ. Ein Großteil der neuen Managementkonzepte der letzten Jahre wie "just-in-time-Produktion", "schlanke Produktion" oder "business re-engineering" sind auf die Beschleunigung von Arbeitsprozessen, bzw. auf die Verringerung von Pufferzeiten ausgerichtet. Wie irrelevant vor der industriellen Revolution ökonomisch akkumulierende Zeit für die meisten war, zeigt sich an den Erzwingungsmechanismen, die die ersten Generationen von Manufakturbesitzern einsetzen mussten, um die "Arbeiter" zu Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit anzuhalten. (vgl. Rinderspacher 1985). Das gleiche Problem beschäftigte die Kolonialherren vor hundert Jahren bei der "Zivilisierung" der einheimischen Arbeitskräfte in den Kolonialgebieten (die sog. "Arbeiterfrage").
Auch Entwicklungsprojekte tun sich schwer, die Effizienzansprüche der Geldund Auftraggeber und die mitunter anderen Prioritäten und Zeitlogiken folgenden Vorstellungen ihrer ›Zielgruppen‹ im Partnerland zu vereinbaren. So stand bei einer Untersuchung über die Ursachen des "Kulturschocks" bei Rückkehrern des amerikanischen Peace Corps durch die Ethnologen Spradley und Phillips 1972 "das allgemeine Tempo des Lebens im Gastland" und "die Frage der Pünktlichkeit" beim Treffen mit Einheimischen ganz oben.
Es gibt auch im postindustriellen Zeitalter Prozesse, die sich nicht verkürzen lassen, die Ereigniszeit benötigen. In Organisationen sind dies kommunikative Prozesse der Vertrauensbildung, Entscheidungsfindung, Konfliktregelung, außerhalb davon alle Prozesse die mit Muse, Kreativität und zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun haben. Kurse und Bücher zum Zeitmanagement beschäftigen sich deshalb in den letzten Jahren auffällig häufig mit der Frage einer "Entschleunigung " von Zeit im beruflichen und privaten Alltag (vgl. z. B. den Erfolg von Sten Nadolnys: "Die Entdeckung der Langsamkeit" oder Zusammenschlüsse wie der "Verein zur Verzögerung der Zeit" in Klagenfurt; www.zeitverein.com; allg. zu Kultur und Zeit im interkulturellen Kontext Hall 1973; Levine 1998; Payer 2003; Schönhuth 2001)

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Zielgruppenanalyse

Aus der Begriffswelt der GTZ: "Die Zielgruppenanalyse ist ein methodischer Ansatz, um die Problemsicht, die Veränderungsvorstellungen und die Handlungsbeschränkungen der i. d. R. heterogenen Zielgruppen (Endbegünstigten) zu erfassen, um so die Zielgruppenorientierung eines Vorhabens zu ermöglichen. Die Zielgruppenanalyse ist zur Beurteilung der Ausgangssituation eines Vorhabens erforderlich, aber keineswegs auf die Vorbereitung eines Vorhabens beschränkt. Zielgruppenanalysen ersetzen nicht die aktive Beteiligung der Zielgruppen an Entscheidungen. Sie liefern aber relevante Informationen für die Gestaltung einer beteiligungsorientierten sowie sozial- und geschlechterdifferenzierten Vorgehensweise. Je nach Informationsstand, Zeitpunkt und Vorhabenstyp kann die Zielgruppenanalyse als eigenständige qualitative, auf Dialog und teilnehmender Beobachtung aufbauende Studie durchgeführt oder aber als integrierter Bestandteil der Situations- und Beteiligtenanalyse behandelt werden." (GTZ 2004b: "Zielgruppenanalyse"; Internetquelle). Der Begriff der "Zielgruppe" wurde wegen seiner Konnotationen (militärstrategischer Hintergrund, Passivität der so bezeichneten Gruppen) immer wieder kritisiert. Allerdings lösen auch Ersatzbegriffe wie "Betroffene" oder " direkt Beteiligte" das Problem nicht grundsätzlich.
Die von Bliss und König 2003 für die KfW erstellten Arbeitsmaterialien zur Zielgruppen- und Beteiligtenanalyse in der Finanziellen Zusammenarbeit (Internetquelle), stellen derzeit in der deutschen EZ-Landschaft das wohl umfassendste Dokument zur Zielgruppenanalyse dar. Das Zielgruppenkonzept des BMZ ist 1999 zusammen mit dem ›Soziokulturellen Rahmenkonzept‹ im Partizipationskonzept aufgegangen.

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Zivilgesellschaft

Der Begriff der Zivilgesellschaft wurde vor dem Hintergrund einer liberalen Demokratie entwickelt. Er ist eng mit der Vorstellung verbunden, dass staatliche Macht kontrolliert werden muss, weil das Konzept der Gewaltenteilung (Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative) allein zur dauerhaften Entwicklung und Stärkung von Demokratie nicht ausreicht (Neubert 2004; Messner 2004). Alexis de Toqueville bezeichnete schon 1830 die Assoziationen der amerikanischen zivilen Gesellschaft als ›Schulen‹ und ›Keimzellen‹ der Demokratie.
Zivilgesellschaft bezeichnet heute den von einer Vielzahl von freiwilligen Vereinigungen gefüllten Raum zwischen Staat und Markt, "zwischen großen staatlichen Bürokratien und wirtschaftlichen Einheiten auf der einen und der privaten Lebenswelt von Familien und Freundesgruppen auf der anderen Seite" (Holtz 2006). Neben dem Staat (mit den Parteien und parteiähnlichen Organisationen, die nach Regierungsgewalt streben) und dem Markt, bildet die Zivilgesellschaft eine der drei Sphären, die demokratische Gesellschaften miteinander verbinden. Zu Ansprechpartnern der Zivilgesellschaft werden gemeinhin neben Nichtregierungsorganisationen (NROs) auch Gewerkschaften, Frauen-, Jugend- und Arbeitgeberverbände, Kirchen und berufsständische Einrichtungen gerechnet.
Auf europäischer Ebene kennt man bereits erste partielle Organisationsansätze der Zivilgesellschaft, so u. a. als Plattform der auf sozialem Gebiet wirkenden NGOs das Ständige Forum der Zivilgesellschaft, in dem mehr als 100 NGOs der verschiedenen Ebenen zusammenwirken; das Europäische Bürger-Netzwerk EUROPA JETZT!; ATTAC, das auf internationaler wie nationaler Ebene gegen die unmenschlichen Auswirkungen der Globalisierung und des Neoliberalismus wirkt, und das Europäische Netzwerk der Umweltschutzverbände. (vgl. Boual/Grützke 2003). Trotzdem ist die Vorstellung einer "internationalen Zivilgesellschaft" und der daraus abgeleiteten Forderung einer besonderen Rolle der NROs eher eine politische Kategorie als eine empirische soziale Realität, wie Neubert (2004) kritisch anmerkt.
Während sich NRO in den letzten Jahren politisch zunehmend als "Stimme der internationalen Zivilgesellschaft" (Neubert 2004) etabliert haben, ist in der EZ festzustellen, dass gerade die legitimen (weil gewählten) Vertreter von Massenorganisationen in zivilgesellschaftlichen Beteiligungsprozessen wie z. B. den Poverty Reduction Strategy-Prozessen (PRSP) entweder vergessen oder sogar bewusst ausgegrenzt werden (vgl. Bliss 2003). Andererseits stellt sich für etliche Länder des Südens mit gering ausgeprägter demokratischer Tradition die Frage, inwieweit überhaupt von ausgebildeten Institutionen einer Zivilgesellschaft oder einer "artikulierten Bürgerkultur" (Erdmann) gesprochen werden kann (vgl. für Afrika Comaroff/Comaroff 1999; Erdmann 1998; Kasfir 1998; Molt 2004).
Gerade für diese Fragen ist eine kulturelle Perspektive wichtig (was ist Zivilgesellschaft, wie stellt sie sich lokal dar, welche Legitimität und welches Mandat in der Vertretung nichtorganisierter oder nichtartikulationsfähiger Gruppen haben zivilgesellschaftlich in Erscheinung tretende Gruppen, wer bleibt ausgeschlossen: Frauen, Jugendliche, ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten, Kasten ...?).
Eine starke Zivilgesellschaft als Korrektiv staatlichen Handelns ist wichtig, aber die Unterscheidung zwischen repräsentativen und nichtrepräsentativen Vertretern der Zunft ist nicht immer leicht (für NROs vgl. Bliss 2003). Die Übernahme von politischen Forderungen durch Gruppen "mit mehr Leidenschaft als Repräsentativität" (Rao/Walton 2004: 24) ist dabei ein Phänomen von reichen wie armen Ländern. (Vgl. zum Zusammenhang zwischen Zivilgesellschaft, NROs und Entwicklung auch das VENRO-Themenheft: VENRO 2004).

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Zusammenarbeit, internationale

Kultur wird bei bi- und multilateralen Gebern häufig als Querschnittsthema angesehen und findet damit in zahlreichen Bereichen Berücksichtigung. Im Gegensatz zum Genderkonzept, wo klare theoretische, fachliche und ethische Positionierungen eine Zuordnung und Operationalisierung des Themas in den Häusern erleichtern, scheint beim Querschnittsthema ›Kultur und Entwicklung‹ allerdings weniger klar zu sein, wo das Thema zu verorten ist, bzw. wo genau die Kompetenz liegt.
Neben der Schulung von Mitarbeitern im Sinne einer Sensibilisierung für das Thema ›Kultur und Entwicklung‹ ist eine weitergehende Überlegung die Einrichtung einer eigenen Kultur-Abteilung mit gelernten Sozialwissenschaftlern, die planerische, beratende und evaluierende Funktionen übernimmt (Weltbank, DFID) bzw. zumindest die Einrichtung der Position eines sociocultural advisers, wie ihn viele bilaterale und multilaterale Geber haben (alle skandinavischen Agenturen, aber auch die FAO). Eine alternative Lösung ist die auf vertraglicher Basis festgezurrte Kooperation mit beratenden sozialwissenschaftlichen Einrichtungen (SIDA, Schweden; DFID, Großbritannien).
SIDA verfolgt mit seiner ›Perspectives on Poverty‹-Leitlinie (2002) die Synthese von ethnischer und kultureller Vielfalt hin zu einer allgemeinen Diversity-Perspektive (Vielfalt, kulturelle) innerhalb eines Armutsansatzes. Diese Perspektive setzt die soziokulturelle Dimension immer in Beziehung zu anderen Ungleichheit produzierenden Faktoren, wie Gender, Alter, Behinderung und Zugang zu Ressourcen. Auf der Instrumentenebene gibt es nur wenig dezidierte Operationalisierungsversuche zu kultureller Entwicklung, will man sie nicht unter die Erfassungsansätze der ›sozialen Dimension‹ subsumieren (in der z. B. für die Weltbank oder die britische DFID neben der sozioökonomischen die kulturelle mit enthalten ist).

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